Vivacità

Lebhaftigkeit

Finelli war der erste Barockbildhauer, der den Effekt des geöffneten Mundes nutzte.

Skulpturen werden lebendig. Figuren treten aus den Gemälden heraus. Seit der Antike taucht das Thema der Lebendigkeit in der Kunst immer wieder auf.

Vor allem bei Porträts spielt die Lebendigkeit, auch vivacità genannt, im frühen 17. Jahrhundert eine große Rolle. Außerdem werden die Personen realistisch dargestellt: ihre Gesichtsausdrücke kennzeichnen sie als Individuen.

Wir bekommen den Eindruck, mit den Figuren in Dialog treten zu können

Der Bildhauer Giuliano Finelli zeigt Kardinal Scipione Borghese mit gerunzelter Stirn und leicht geöffneten Lippen: so, als ob er im nächsten Moment zum Reden ansetzt. Finelli war der erste Barockbildhauer, der den Effekt des geöffneten Mundes nutzte. Damit verlieh er dem Porträt zusätzliche Lebhaftigkeit.

Verschiedene Tricks wurden von den KünstlerInnen angewandt: aufblitzende Zähne deuten das Sprechen an, Adern und Muskeln treten in Anspannung hervor, wehendes Haar oder ein leicht gedrehter Kopf unterstreichen den Eindruck, die Figur hätte sich eben erst bewegt.

1

Giuliano Finelli
(Carrara 1601–1653 Rom)
Kardinal Scipione Borghese
(1577–1633)
Rom, 1632
Carrara-Marmor. H. 81 cm;
Sockel: Marmor, H. 18,1 cm
New York, The Metropolitan Museum of Art,
Inv.-Nr. 53.201

Haben wir Maffeo Barberini gerade beim Lesen gestört? Seine rechte Hand liegt auf der Seite eines aufgeschlagenen Buches. Es scheint, als ob er die Zeile nicht verlieren will, die er gerade gelesen hat.

Maffeo wirkt etwas geistesabwesend. Er ist wohl noch in das Gelesene vertieft. Vielleicht handelt es sich dabei um Liebeslyrik? Darauf könnte die Blumenvase hindeuten.

2

Michelangelo Merisi da Caravaggio
(Mailand 1571–1610 Porto Ercole)
Maffeo Barberini (1568–1644)
1596/97
Leinwand, 121 × 95 cm
Florenz, Privatsammlung

Wir bekommen den Eindruck, mit den Figuren in Dialog treten zu können. Eng gewählte Bildausschnitte auf kleinen Formaten bewirken, dass die Grenze zwischen Bild und BetrachterIn verschwindet. Die raffinierte Lichtregie bringt zusätzliche Dynamik in die Szenen.

3

Angelo Caroselli
(Rom 1585–1652 Rom)
»Singender« Mann
Um 1615/25
Tannenholz, Anstückelungen aus Kiefernholz, 53 × 43 cm
Signiert auf der Münze an der Kappe des Mannes: »ANGELO CAROSE[L]LI PILS · FERDI[NANDUS] ·BRÃ [N]D[ANUS]« und vielleicht: »LAU[REATUS]«»AUG[USTUS]« »IMP[ERATOR]«
Wien, Kunsthistorisches Museum,
Inv.-Nr. 1583

Um verschiedene Stoffe darzustellen, können Maler auf Farbe zurückgreifen. Bildhauer jedoch müssen aus einem einzigen Material verschiedene Oberflächenwirkungen schaffen.

Thomas Bakers Kragen ist fein ausgeführt. Sein volles Haar schwebt locker um seinen Kopf. Beides ist mit unglaublicher Kühnheit modelliert. Die Freiheit, mit der Bernini den Steinbohrer handhabte und hier und da auch sichtbare Spuren davon hinterließ, verleiht der Büste eine fast malerische Note.

4

Gian Lorenzo Bernini
(Neapel 1598–1680 Rom)
Thomas Baker (1606–1657/58)
Rom, 1637–1638
Carrara-Marmor, H. 81,6 cm (inkl. Sockel)
London, Victoria and Albert Museum,
Inv.-Nr. A.3-1921

Es sind besonders individuelle und lebendige Porträts, die Caravaggio, Bernini und deren NachfolgerInnen erschufen. Wie Momentaufnahmen wirken diese Gemälde und Skulpturen. Sie vermitteln uns heute das Gefühl, die damalige Zeit ein wenig miterleben zu können.