Neben erotisierten Schönheiten sehen wir blutverschmierte Figuren oder abgeschlagene Köpfe.
In barocken Kunstwerken begegnen wir oft zwei besonders starken Gefühlen: Angst und Entsetzen. Um diese Gefühle auch in uns BetrachterInnen auszulösen, wählen Caravaggio und seine NachfolgerInnen spannungsgeladene Augenblicke.
Sie inszenieren diese Augenblicke in Bildausschnitten, die sie bewusst sehr eng wählen. So entsteht für uns der Eindruck, nah an der Szene zu sein. Schlaglichtartige Beleuchtung und tiefe Schatten lenken unsere Aufmerksamkeit und steigern die Dramatik.
Neben erotisierten Schönheiten sehen wir blutverschmierte Figuren oder enthauptete Köpfe. Immer wieder dargestellte Motive sind die schöne Judith mit dem Haupt des Holofernes oder der jugendlich-sinnliche David, der den Kopf Goliaths trägt.
Auch zuvor wurden diese Szenen oft dargestellt. Neu ist aber die Intensität: Caravaggios David streckt uns das blutige Haupt Goliaths direkt entgegen. Es ist noch schmerzverzerrt und löst in uns BetrachterInnen Schrecken und Entsetzen aus. Und auch Caravaggios Nachfolger schonen uns nicht.
Michelangelo Merisi da Caravaggio
(Mailand 1571–1610 Porto Ercole)
David mit dem Haupt Goliaths
Um 1600/01
Pappelholz, 90,5 × 116 cm
Wien, Kunsthistorisches Museum,
Inv.-Nr. 125
Antonio d’Enrico, genannt Tanzio da Varallo
(Alagna Valsesia um 1575/80 – um 1632/33 Varallo Sesia)
David mit dem Haupt Goliaths
Um 1620
Leinwand, 120 × 90 cm
Varallo, Palazzo dei Musei - Pinacoteca, Inv.-Nr. 689
Carlo Saraceni
(Venedig 1579–1620 Venedig)
Judith mit dem Haupt des Holofernes
Um 1610
Leinwand, 90 × 79 cm
Wien, Kunsthistorisches Museum,
Inv.-Nr. 41
Entsetzen und Genuss schließen sich in der Kunst des 17. Jahrhunderts nicht aus, sondern beflügeln sich gegenseitig.
Doch zur Zeit Caravaggios werden die Kunstwerke nicht nur daran bewertet, wie sehr sie emotional erschüttern. Es ging auch darum, wie genau die Bilder und Skulpturen die Natur nachahmen.
Seit der Renaissance wurden die Schriften des Aristoteles wieder vermehrt gelesen. Er beschrieb die Freude, die in uns Menschen durch das Wiedererkennen ausgelöst wird. Daher war man der Meinung: Je naturgetreuer ein Kunstwerk, desto größer die Freude, die dadurch ausgelöst wird – sogar, wenn es um unerfreuliche Szenen geht.
Entsetzen und Genuss schlossen sich in der Kunst des 17. Jahrhunderts also nicht aus, sondern beflügelten sich gegenseitig. Dies wird in einem Auszug aus einem Gedicht von Giambattista Marino, der ebenfalls zu der Zeit tätig war, deutlich. Er schrieb über den „Bethlehemitischen Kindermord“ von Guido Reni:
Oh noch in der Grausamkeit mitleidiger, edler Künstler, du weißt wohl, dass auch der tragische Fall ein teures Motiv ist und oft der Schrecken mit dem Gefallen einhergeht.
Guido Reni
(Bologna 1575–1642 Bologna)
Bethlehemitischer Kindermord
1611
Leinwand, 268 × 170 cm
Bologna, Pinacoteca Nazionale,
Inv.-Nr. 439
Das Betrachten dieser Szenen fällt mitunter auch heutzutage nicht ganz leicht. Obwohl wir – mehr denn je – schrecklichen Bildern ausgesetzt sind, auch aus den täglichen Nachrichten, empfinden wir beim Anblick dieser Kunstwerke nach wie vor Schmerz und Angst. Caravaggio und seine Nachfolger bezweckten eben das: diese starken Gefühle in uns auszulösen.