Moto & Azione

Bewegung & Aktion

Tatsächlich waren einige in Rom tätige Künstler auch als Schauspieler oder Bühnenbildner aktiv.

Immer wieder werden Caravaggio, Bernini und deren NachfolgerInnen als Vorläufer von DramaturgInnen und RegisseurInnen geschätzt. Denn in ihren Kunstwerken schildern sie Handlungen auf genauso bewegte und spannende Weise, wie es heute Filmschaffende tun.

Aber warum fesseln uns ihre Gemälde so besonders?
Unter anderem, weil die Künstler einen ganz bestimmten Moment für ihre Skulptur oder ihr Gemälde auswählen.

Die Wahl dieses Moments ist ausschlaggebend für die Wirkung und die Emotion, die er damit in der betrachterin oder im Betrachter auslöst.

Die heftigsten Affekte werden am entscheidenden Wendepunkt einer Handlung ausgelöst: der Augenblick, in dem sich das Glück der Hauptperson wendet.

Das war den KünstlerInnen bewusst, und diesen Effekt nutzten sie. Tatsächlich waren einige in Rom tätige Künstler auch als Schauspieler oder Bühnenbildner aktiv. Ihre Fähigkeiten und die Erfahrungen, die sie am Theater sammelten, konnten sie auch in der bildenden Kunst einbringen.

Wenn zum Wendepunkt einer Handlung auch eine überraschende Erkenntnis eintritt, dann wird der Moment besonders emotional. Es ist aber nicht leicht, eine innere Bewegung bildlich umzusetzen. Gestik und Mimik müssen mit viel Feingefühl gewählt und dargestellt werden. Diese äußere Bewegung, die in Folge einer inneren Erregung entsteht, wurde im 17. Jahrhundert moto genannt.

In Abrahams Gesicht ist Erschrecken und Erstaunen abzulesen. Als der Engel eingreift, wird ihm bewusst, dass sein Sohn leben wird.

In diesem von Gentileschi gewählten Augenblick erreicht die Spannung ihren Höhepunkt. Die gesamte Bedeutung der Opferung Isaaks wird spürbar.

1

Orazio Gentileschi
(Pisa 1563–1639 London)
Opferung Isaaks
Um 1612
Leinwand, 198 × 150,5 cm
Genua, Galleria Nazionale della Liguria a Palazzo
Spinola, Inv.-Nr. GNL 37/1986

Theatralische Körperhaltungen können der Darstellung von Handlung (azione) dienen.

In Saracenis Cäcilia hat der Henkersknecht eben weit ausgeholt. Im nächsten Augenblick wird er versuchen, der Heiligen den Kopf abzuschlagen. Cäcilia hat sich dem Schicksal schon ergeben und wendet sich ganz ihrer Vision zu: ein lichtheller, jugendlicher Engel ist eben zu ihr herabgestiegen. Sein Fuß berührt bereits das Irdische. Er weist Cäcilia den Platz in himmlischer Ewigkeit zu.

2

Carlo Saraceni
(Venedig 1579–1620 Venedig)
Das Martyrium der hl. Cäcilia
Um 1610
Leinwand, 135,9 × 98,4 cm
Los Angeles, The Los Angeles County Museum, Geschenk der Ahmanson Foundation, Inv.-Nr. AC1996.37.1

Manfredi schafft für seine Darstellung von Kain und Abel eine bemerkenswerte Komposition: Er verschränkt die Körperteile der beiden Brüder basierend auf dem Dreieck, das wir aus der Renaissance kennen.

Der Künstler musste genaue Kenntnis der Anatomie und des Gleichgewichts haben, um diese bewegte Szene realistisch darstellen zu können. Die Bewegungen von Kain und Abel sind Abbilder ihrer Emotionen: Wut und Angst.

3

Bartolomeo Manfredi
(Ostiano/Mantua 1582–1622 Rom)
Kains Brudermord
Um 1615
Leinwand, 152 × 115 cm
Wien, Kunsthistorisches Museum,
Inv.-Nr. 363

Wie Filmstills wirken diese Szenen. Mit einem Blick sind wir mitten im Geschehen und leben den Moment heute noch mit. Und man sieht es uns an: Denn wenn wir in unserem Inneren die Gefühle der Figuren nachvollziehen, überträgt sich das auf unsere äußere Mimik und Gestik. Auch das war ein Ziel der barocken Kunst.